Leseprobe „Die Totengräber“
Prolog
Der junge, mittelgroße Mann sah sich noch einmal sichernd um, ehe er die Telefonzelle im Kölner Hauptbahnhof betrat. Aber seine Sorge war unbegründet. Niemand achtete an diesem
eisigen Vormittag des 31.Januar 2008 auf den unscheinbaren Mann im olivgrünen Anorak in dem herrschenden Gedränge der Bahnhofshalle. In aller Ruhe steckte er sich eine Zigarette in den Mund, zündete
sie an und genoss das berauschende Gefühl, als sich nach dem ersten Zug seine Lunge mit Rauch füllte und lehnte sich dabei lässig an die Glaswand der Zelle. Zielstrebig wählte er die
Nummer an und wartete gespannt, dass sich am anderen Ende jemand meldete. Bereits nach dem zweiten Klingelton wurde der Hörer abgenommen und er hörte die ihm bekannte Stimme seiner
Führungsperson.
„Bundesamt für Verfassungsschutz, Sie sprechen mit Mark Herfurth, was kann ich für Sie tun?“
Er wusste, dass Herfurth im Dienst einen Decknamen benutzte und in Wirklichkeit ganz anders hieß. Aber das war ihm egal. Er hatte sich als Informant der Sicherheitsbehörde zur
Verfügung gestellt und meldete sich immer dann, wenn er glaubte, etwas Wichtiges mitteilen zu müssen. Er wurde für seine Dienste gut bezahlt und mit dem Geld konnte er einen Teil seines Studiums für
Geschichte und Politikwissenschaften finanzieren. Skrupel hatte er nicht, denn trotz seines jugendlichen Alters stand er fest auf dem Boden der demokratischen Grundordnung und hasste politischen
Extremismus in jeglicher Form. Schon bald nach seinem Studienbeginn war er von seinem Kommilitonen Frank Sternberg überredet worden, an den Sitzungen der Studentenvereinigung „Phönixx“ teilzunehmen.
Zuerst war er von dem engen Verhältnis der Mitglieder untereinander, den intellektuellen Gesprächen und der dort herrschenden entspannten Atmosphäre tief beeindruckt, aber schon bald
gelang es ihm, hinter ihre Fassaden zu blicken. Ohne Ausnahme hatten sie ein äußerst konservatives Menschen - und Gesellschaftsbild und standen der Vermischung des deutschen Volkes mit Migranten,
besonders mit denen aus dem türkisch/arabischen Raum, ablehnend gegenüber. Sie verstanden sich als Vertreter einer elitären deutschen Volksgemeinschaft und hatten zudem äußerst krude Vorstellungen
über das Rechtssystem der Bundesrepublik. So war es nicht verwunderlich, dass er sich alsbald von ihren Idealen und Zielen distanzierte und schließlich an den Sitzungen nur deshalb teilnahm, um zu
sehen, wie weit sie noch gehen würden. Der Zufall wollte es, dass er einige Wochen später in einer typischen Studentenkneipe mit einem gut zehn Jahre älteren Mann ins Gespräch kam und nach dem
fünften Bier bereits mit ihm Brüderschaft trank. Sein neuer Freund stellte sich als Mark Herfurth vor, der angeblich in einem Kölner Finanzamt tätig war. Beide waren Fußballfans vom 1. FC Köln.
Aber nicht nur in Sachen Fußball stimmten sie überein, auch in ihren politischen Ansichten kamen sie sich sehr nahe. Besonders seine Erfahrungen mit „Phönixx“ schienen Mark zu interessieren. Man traf
sich des Öfteren in den Kneipen der Altstadt und mit der Zeit entstand zwischen Ihnen ein lockeres freundschaftliches Verhältnis. Eines Tages ließ Mark bei einer anregenden Diskussion über
Rechtsradikalismus die Katze aus dem Sack, als er sich ihm als Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz offenbarte. Er war zunächst geschockt, fühlte sich von ihm regelrecht verarscht und
verraten und wollte die Beziehung sofort abbrechen. Aber Mark ließ nicht locker und überzeugte ihn schließlich mit dem Argument, dass sich jeder aufrechte Deutsche von Verfassungsfeinden
distanzieren müsse, wobei der Hinweis auf eine Bezahlung für Informationen über die Namen der Mitglieder, über ihre Ziele und illegalen Aktionen dieser ultrarechten Verbindung Musik in seinen Ohren
war. Die dafür in Aussicht gestellten Geldzuwendungen ließen seine letzten Skrupel wie Schnee in der Sonne schmelzen.
Er meldete sich und sagte:
„Hier ist Pegasus. Ich habe ein paar interessante Neuigkeiten für dich.“
Er wusste, dass Mark das Aufnahmegerät bereits eingeschaltet hatte und fuhr deshalb fort:
„Du brauchst nur den Briefkasten zu leeren.“
„In Ordnung, ich werde nachschauen. Kommst du sonst zurecht?“
„Ja, aber es wäre schön, wenn ich wieder mal ein bisschen Futter bekommen würde.“
„Gut, das lässt sich einrichten. Ich kümmere mich persönlich darum.“
Der junge Mann hängte wortlos den Hörer auf die Gabel, verließ die Telefonzelle und tauchte im Gewirr der Menschen unter.
Frank Hallmann alias Mark Herfurth , Verfassungsschützer der Abteilung 2 ( Einsatz und Führung von V-Personen ) in Köln-Volkshoven/Weiler, starrte einige Sekunden wie gebannt auf
den Telefonhörer und atmete dann erleichtert tief durch. Die Nachricht seines Informanten war Musik in seinen Ohren. Schließlich hatte der sich fast drei Wochen nicht mehr bei ihm gemeldet, wobei er
auch im Kontaktbriefkasten keine Nachricht hinterlassen hatte. Sogar ihren gemeinsamen Treffpunkt, die Lesehalle der städtischen Volksbücherei, hatte er nicht aufgesucht. So stand zu
befürchten, dass seine „Quelle“ entweder ihre Arbeit eingestellt hatte oder ihr sogar etwas passiert war.
Er führte ein kurzes Gespräch mit seinem Chef, Regierungsrat Vollmer, setzte ihn von dem soeben geführten Gespräch in Kenntnis, und meldete sich für zwei Stunden ab.
Der Briefkasten befand sich im Hausflur des Quergebäudes eines heruntergekommenen Altbaus in einem Vorort der Stadt. Niemand achtete auf den schlanken Mann in brauner Lederjacke,
als er den „toten Briefkasten“ öffnete, einen Briefumschlag herausnahm und ihn in seine Brusttasche steckte. Anschließend stieg er seelenruhig in seinen silbernen Audi A 4 und fuhr davon.
Eine Stunde später saß er wieder in seinem Büro und öffnete den zugeklebten Briefumschlag. Voller Spannung faltete er den eng beschriebenen Bogen auseinander. Was er las, ließ
seinen Hals sofort trocken werden. Das war ja der absolute Hammer. Er schüttelte immer wieder ungläubig seinen Kopf. Wenn das alles stimmte, dann war er einer ungeheuren Sauerei auf der Spur. Er
zweifelte nicht am Wahrheitsgehalt der Nachricht, dazu kannte er „Pegasus“ zu gut. Zumindest hatte er bisher immer Hinweise geliefert, die sich im Nachhinein ausnahmslos als wahr bestätigt
hatten.
Von einer „Sektion sauberes Deutschland“ war die Rede, die Kontakte zu „Phönixx“ gesucht hatte, um für sich neue Mitglieder zu rekrutieren. Die Hinweise hatte „Pegasus“ von seinem
Studienkollegen Frank Sternberg erhalten, der ihm voller Begeisterung die Ziele dieser geheimen Bruderschaft in den glühendsten Farben geschildert hatte. Diese Gruppe soll es sich zum Ziel gesetzt
haben, Deutschland von menschlichem Ungeziefer zu befreien, wozu sie vor allem Frauen- und Kindermörder sowie Sexualtäter zählen, die aus den verschiedensten Gründen nicht verurteilt werden konnten.
Es verstand sich von selbst, dass Sternberg die Absicht äußerte, nach Abschluss seines Studiums diesem Geheimbund beizutreten.
Hallmann las völlig konsterniert Sätze wie:
„Wir müssen das Recht in unsere eigenen Hände nehmen, weil das Rechtssystem in unserem Lande permanent versagt…“
„Dieses Ungeziefer hat es nicht verdient, weiter zu leben und muss liquidiert werden…“,
„Auch gegen die unverantwortliche Ausbreitung des Islams in der Gesellschaft muss mit aller Härte vorgegangen werden…“
„Wir lehnen die Homosexualität als männlichen Irrweg in der Sexualität ab und fordern ihre öffentliche Brandmarkung…“
Der Hinweis auf die Mitglieder dieser Bruderschaft war reinstes Dynamit. Wenn das alles stimmte, dann hatte er den brisantesten Hinweis seiner bisherigen Dienstzeit in den Händen. Es war kaum zu
glauben, aber nach „Pegasus“ Angaben sollte es sich um Angehörige der deutschen Eliten, darunter Mandatsträger aus Politik und Wissenschaft, namhafte Vertreter der Wirtschaft, Polizeibeamte,
Staatsanwälte, Mitglieder der Ärzteschaft, Personen aus der Kunst-und Kulturszene und sogar um Mitglieder des Adels handeln. Auch sollen bereits Anstrengungen unternommen worden sein, regionale
Strukturen zu bilden. Vor allem der Hinweis, dass es bereits in diesem Zusammenhang zu schweren Straftaten gekommen sein sollte, bereitete ihm erhebliche Kopfschmerzen. In was für ein Wespennest
hatte er nur gestochen? Er musste sofort mit Vollmer sprechen. Das hier war ihm eine ganze Nummer zu groß. In den Dateien des Dienstes gab es bisher keinerlei Hinweise auf diese ominöse Bruderschaft.
Er fertigte einen entsprechenden Vermerk an und klopfte wenig später an die Tür seines Vorgesetzten.
Regierungsrat Vollmer teilte seine Meinung über diesen brisanten Hinweis und ordnete an, den Vorgang als Verschlusssache mit dem Vermerk GEHEIM zu behandeln. Im Anschluss
daran rief er im Vorzimmer des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz an und bat um einen sofortigen Gesprächstermin.
Bereits wenige Stunden später lag der Bericht in Kopie auf dem Tisch des Ministerialdirektors Kurt Grainau vom Bundesinnenministerium in Berlin und führte auch dort zu hektischer
Betriebsamkeit.
*
Bundesministerium des Innern Alt -
Moabit 101 D
UA ÖS – OB Nr. 139/09
G
10559 Berlin
Tel.: 030 186 81-14
Datum: 01.02.2008
Vermerk:
VS - Geheim -
Leiter ÖS - zur Vorlage für den Herrn Staatssekretär
Leiter ÖS I - Polizeiangelegenheiten
Leiter ÖS II - Terrorismusbekämpfung
Leiter ÖS III - Verfassungsschutz - nachrichtlich -
„Sektion sauberes Deutschland“
Aus einer geschützten „Quelle“ wurde bekannt, dass Mitglieder der als rechtsradikal eingestuften studentischen Verbindung „Phönixx“ seit einiger Zeit Kontakte zur einer „Sektion sauberes Deutschland“
unterhalten sollen, die den Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik bisher unbekannt ist.
Es soll sich dabei um eine geheime Gruppierung handeln, die sich mit ihren Zielen nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung bewegt und ein nicht der Verfassung der
Bundesrepublik Deutschland entsprechendes Menschbild entwickelt hat und verfolgt.
Diese Gruppierung ist strikt gegen die Vermischung der deutschen Rasse durch Migranten, besonders aus dem türkisch/arabischen Raum, gegen die Ausbreitung des Islams, gegen Homosexualität und für die
Todesstrafe von Frauen- und Kindermördern sowie Kinderschändern.
Die Mitglieder dieser „Sektion sauberes Deutschland“, rekrutieren sich nach dem Sprachgebrauch der „Quelle“ aus den deutschen elitären Schichten, darunter Beamte der Polizei, der Staatsanwaltschaft,
der Ärzteschaft, Mandatsträger aus Politik, Wirtschaft, Kunst und Kultur sowie des Adels und sollen bereits dabei sein, regionale Strukturen zu entwickeln und vereinzelt auch schon schwere Straftaten
begangen haben. Näheres ist dazu noch nicht bekannt.
Es wird vorgeschlagen, sofort eine Arbeitsgruppe beim Verfassungsschutz einzurichten, die prüfen soll, ob und mit welchen personellen und fiskalischen Ressourcen eine Unterwanderung dieser
Gruppierung durchgeführt werden kann, um ihre Verfassungsfeindlichkeit festzustellen. Die AG soll in zwei Monaten einen ersten Bericht vorlegen. Leiter ÖS III arbeitet anschließend eine entsprechende
Vorlage aus, die bei der nächsten Innenministerkonferenz von Bund und Ländern am 08.04.2008 behandelt wird.
gez. Grainau, MinDir.
***
Leseprobe aus „Das Todeskommando“
Am Freitag, den 10. Juli 1981, war es ungewöhnlich heiß. Der vierzigjährige Cliff Pemberlake und seine Frau Elaine begaben sich an seinem freien Nachmittag in den Keller ihres kleinen Reihenhauses im verschlafenen Küstendorf Larne in Nordirland, das am North Channel gegenüber den Southern Uplands von Schottland liegt, um endlich einmal aufzuräumen. Ihr zehnjähriger Sohn Griffith saß in seinem Zimmer im Obergeschoss und malte ein Bild für den Geburtstag seiner Großmutter. Pemberlake war ein Mitglied des „Security Service“ , dem britischen Nachrichtendienst in Nordirland und arbeitete eng mit den „Special Branches“ des „Criminal Investigation Department“, zuständig für Terrorismus, im nahen Belfast zusammen. Seine Aufgabe bestand im Sammeln und Bewerten von Hinweisen jedweder Art auf IRA-Aktivitäten im ländlichen Bereich um Belfast. Offiziell galt er bei seinen Bekannten und Nachbarn als biederer Verwaltungsangestellter, der im Grundstücks- und Katasteramt von Belfast angestellt war. Seine Tarnung war bisher perfekt gelungen und seine freundliche und hilfsbereite Art hatte ihm sowohl bei den katholischen als auch bei den protestantischen Nachbarn zu hohem Ansehen verholfen. Er war ein begeisterter Segler und seine Jolle lag fest vertäut im kleinen Hafen von Larne.
Es war ein schöner, wolkenloser Sommertag und viele der Bewohner des kleinen Ortes befanden sich mit ihren Kindern am Strand, der etwas außerhalb lag.
Das Reihenhaus der Pemberlakes stand am Ende einer kleinen Sackgasse. Direkt dahinter begann die hügelige Küstenlandschaft mit ihren saftigen Wiesen und unzähligen Buschreihen.
Griffith schreckte auf, als er das Geräusch des ankommenden Motorrades hörte und blickte neugierig aus dem Fenster. Unten stieg ein Mann vom Motorrad und kam mit ruhigen Schritten auf die Eingangstür zu. Der andere wendete das Motorrad und blieb mit laufendem Motor stehen. Das Gesicht des Fahrers konnte er nicht erkennen, weil es durch den schwarzen Motorradhelm verdeckt war. Wenige Augenblicke später hörte er die Haustürklingel.
„Daddy, ich öffne die Tür“, rief er laut die Treppe in Richtung Keller hinunter.
Cliff blickte Elaine erstaunt an. Beide hatten das Klingeln der Türglocke und kurz darauf das Rufen ihres Sohnes gehört.
„Lass` das mal sein, Griffith, ich mache es selber. Der Besuch ist bestimmt für mich ...“, rief er seinem Sohn zu. Er sah seine Frau fragend an.
„Sag` mal, Elaine, wer könnte das sein? Wir sind doch mit niemandem verabredet und keiner weiß, dass ich heute Nachmittag frei habe. Ich wollte doch in aller Ruhe mit dir endlich den Keller aufräumen. Wer stört denn nun schon wieder?“
„Ich weiß es auch nicht, mein Schatz. Aber ehe wir weiter rätseln, solltest du lieber nachschauen.“
Es klingelte zum zweiten Mal. Diesmal länger und drängender.
„Da hat es aber einer eilig“, amüsierte sich Elaine.
Leicht genervt und kopfschüttelnd zog sich Cliff die Arbeitshandschuhe aus, wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und ging die enge Treppe nach oben. Elaine sah ihrem Mann belustigt hinterher und widmete sich dann wieder einer Kiste mit altem Geschirr ihrer Schwiegermutter. Er sah durch die Milchglasscheibe die Konturen eines Mannes, der trotz der angenehmen Temperaturen dunkle Kleidung trug. Ungewöhnlich zu dieser warmen Jahreszeit... Obwohl er schon von Berufs wegen ausgesprochen misstrauisch war, beging er an diesem warmen Sommertag einen tragischen Fehler und öffnete unbedacht die Tür. Vor ihm stand ein sehr großer und kräftiger Mann, der Lederkleidung trug und sein Gesicht mit einer Pudelmütze, in der sich Sehschlitze befanden, maskiert hatte. In der Hand hielt er einen Revolver. Blitzschnell erfasste Cliff die lebensbedrohliche Situation. Verdammt, er war wie ein Anfänger in eine Falle getappt und völlig wehrlos.Seine Dienstwaffe lag jetzt unerreichbar in der obersten Schublade des Schuhschrankes, der neben der Kellertür stand. Der Unbekannte zischte:
„Cliff Pemberlake, Sie sind ein gottverdammter Spitzel der Engländer und arbeiten gegen die Interessen des irischen Volkes. Dafür gibt es bei der IRA nur eine einzige Strafe ...“
Pemberlake wurde über einen Meter zurückgeworfen, als ihn die zwei Kugeln in die Brust trafen. Der Schmerz in seinen Lungen zerriss ihn fast und nahm ihm sofort den Atem. Noch bevor er auf den Boden der Diele zusammengebrochen war, hatte der Unbekannte die Waffe wieder eingesteckt, sich seelenruhig umgedreht und war, ohne den Sterbenden eines Blickes zu würdigen, gemessenen Schrittes zum Motorrad gegangen und aufgestiegen. Ohne große Eile fuhr die schwere Maschine davon, bog vorne rechts auf die Landstraße in Richtung Ballymena ein. Erst dann gab der Fahrer kräftig Gas.
Elaine zuckte erschreckt zusammen, als sie die zwei Schüsse hörte. Wie von Sinnen stürzte sie die Treppe hoch und blieb wie angewurzelt auf der letzten Stufe stehen. Fassungslos, und zu keiner Regung fähig, starrte sie auf das schreckliche Szenarium, das sich ihr bot. Direkt vor ihr lag Cliff zusammengekrümmt am Boden, die Hände über der Brust verkrampft. Sein Hemd war auf der Vorderseite über und über mit Blut durchtränkt. Das Grauen erfasste sie in sekundenschnelle und ihr Schrei hallte durch das Haus und pflanzte sich durch die offene Eingangstür fort die menschenleere Straße hinunter.
Aber nach wenigen Augenblicken fasste sie sich wieder und beugte sich zu ihm herunter. Cliff hatte die Augen geschlossen und stöhnte leise. Verzweifelt tätschelte sie ihm die Wangen und rief seinen Namen.
„Cliff ..., hörst du mich? Antworte, bitte...! Cliff, lieber Cliff ..., sag` doch etwas ...!“
Er öffnete mühsam die Augen und flüsterte:
„Meine Brust tut so weh ..., mir ist so verdammt schlecht ...“
Als sie sich erheben wollte, hielt er sie am Ärmel fest und murmelte kaum hörbar:
„Bleib` hier! Lass` mich nicht allein ...!“
Er hustete mehrmals und Blut lief ihm dabei aus dem Mund. Elaine sah voller Entsetzen, dass Cliff schwer verletzt war und dringend ärztliche Hilfe benötigte. Und sie begriff augenblicklich, dass sie in dieser prekären Situation nicht die Nerven verlieren und in Panik verfallen durfte. Sie stöhnte vor Verzweiflung tief auf und Tränen rannen ihr über das Gesicht. Vor solch einer Katastrophe hatte sie sich immer wieder gefürchtet, seit Cliff vor drei Jahren diesen gefährlichen Job übernommen hatte. Trotz aller Bedenken und nach endlosen Diskussionen und der Abwägung des Für und Wider hatte sie schließlich seiner Versetzung zugestimmt, weil er jetzt endlich befördert werden konnte. Und so wollte sie Cliff auch keine Steine in den Weg legen als er ihr den Vorschlag unterbreitete, von Bristol in die Nähe von Belfast zu ziehen. Voller Scham wurde ihr bewusst, dass sie damals die Gefahr für ihre kleine Familie schmählich unterschätzt hatte. Dieser Fehler hatte sich jetzt bitter gerächt. Aber für Selbstvorwürfe war es zu spät. Sie musste sich zusammenreißen und Cliff sofort helfen. Nur das zählte jetzt. Sanft löste sie seine verkrampften Finger von ihrem Arm, erhob sich, lief die wenigen Schritte zum Telefon, alarmierte einen Rettungswagen und die Polizei. Dann stürzte sie in die Küche und kam mit zwei Handtüchern zurück. Sie kniete sich neben ihn, riss vorsichtig das blutdurchtränkte Hemd auf und drückte ihm die beiden Tücher auf die verletzte Brust.
Er stöhnte leise auf und seine Augenlider flatterten wie Schmetterlinge.
„Mein Liebling, bleib ganz ruhig und bewege dich so wenig wie möglich, der Rettungswagen wird gleich hier sein“, sagte sie mit tränenerstickter Stimme.
„Elaine ...“, flüsterte er, „ ... es war ein Kommando der IRA ..., meine Tarnung ist
aufgeflogen ...“
Er verstummte erschöpft. Was sollte sie jetzt nur tun? Sie war völlig hilflos und sah, wie die Kraft, wie ein kleiner roter Bach, unaufhaltsam aus seinem Körper herausfloss. Alles in ihr weigerte sich, das Unfassbare zu begreifen. Wenn nicht bald Hilfe kam, würde er unter ihren Händen verbluten. Cliff sah sie unverwandt und schweigend an. Er wusste offensichtlich, in welch hoffnungsloser Lage er sich befand.
„Erzähl` mir von unserer ersten Begegnung in London und erzähle mir von Griffith ...“, bat er sie stockend und schloss erschöpft die Augen. Sein Atem ging immer flacher und unregelmäßiger. Elaine erzählte ihm alles was ihr gerade so einfiel und sie sah, wie sich sein schmerzverzerrtes Gesicht mit einem schwachen Lächeln überzog ...
Unvermittelt setzte seine Atmung aus, der Kopf fiel zur Seite und sein Körper streckte sich ein wenig. Sie hielt erschrocken inne und beugte sich über ihn. Er atmete nicht mehr und auch sein Puls war nicht mehr spürbar. Sein Gesicht hatte sich mit einer fahlen Blässe überzogen und langsam dämmerte ihr, dass es vorbei war ...
Wie in Trance schloss sie ihm die Augen, küsste zärtlich sein Gesicht, aus dem jeglicher Schrecken gewichen war und sah auf ihre blutverschmierten Hände....
In der Ferne hörte sie die Sirene des Rettungswagens. Sie kommen zu spät, für immer zu spät, dachte sie noch und brach neben ihm zusammen.
Der Mitternachtsmörder
(Leseprobe: Das Vermächtnis des Reporters )
Der 27.Juni 1987 war ein strahlend schöner Sommertag. Noch am späten Abend war es angenehm warm und die 84 jährige Emily Reinders entschloss sich, entgegen ihrer sonstigen Angewohnheit, das Fenster zur Straße ihrer im Souterrain liegenden Wohnung über Nacht offen zu lassen. Die Wohnung befand sich in einem um die Jahrhundertwende herum erbauten repräsentativen Haus mit roter Backsteinfront und aufwendigen Stuckornamenten in der Solmstraße im Kreuzberger Kiez.
Emily Reinders war Ende der „goldenen“ 20iger Jahre ein gefeierter Operettenstar am „Metropol –Theater“ in Berlin. Die blendend schöne junge Frau machte als Tänzerin und Sängerin eine glänzende Karriere und die Männerwelt lag ihr buchstäblich zu Füßen. Sie genoss in vollen Zügen das Leben in der Glitzerwelt der Reichshauptstadt und konnte sich nur schwerlich damit abfinden, dass mit ihrem zunehmenden Alter die Engagements weniger wurden, schließlich ganz ausblieben und sie dabei immer mehr in Vergessenheit geriet. Wie unzählige Künstler vor ihr musste sie schmerzhaft erkennen, dass Ruhm vergänglich war. Sie hatte inzwischen geheiratet und war mit ihrem Mann nach Ausbruch des Krieges in die kleine Zweizimmerwohnung gezogen. Seit dem Tode ihres Mannes lebte sie allein und nur ein Papagei und zwei Singvögel teilten mit ihr die Einsamkeit.
Im Kiez war sie als wunderliche und verschrobene Alte bekannt, die auf der Straße Nachbarn und wildfremden Menschen unverblümt erzählte, dass sie über genügend Geld und wertvollen Schmuck verfüge, weil ihr verstorbener Mann sie gut versorgt zurückgelassen habe. Zur Bekräftigung ihrer Worte zog sie gelegentlich ein loses Bündel Geldscheine aus ihrer Handtasche heraus und hielt es den verblüfften Leuten unter die Nase. Natürlich hatte sich dieser Umstand längst im „Kiez“ herumgesprochen und sie galt als „heißer Tipp“ für schnelles Geld. Vor mehreren Jahren war sie schon einmal überfallen worden, aber ihre unselige Angewohnheit, mit ihrem Geld herumzuprahlen, hatte sie indes nicht aufgegeben.
Gegen 23.00 Uhr zog sich Emily Reinders aus und streifte sich ein Nachthemd über. Wie jeden Abend kramte sie in ihrem Schrank herum und suchte sich die bereits abgegriffenen Fotoalben mit den vergilbten Fotos ihrer künstlerischen Glanzzeit heraus und betrachte sie eine ganze Zeitlang wehmütig. Erinnerungen stiegen in ihr hoch und sie schloss die Augen. Sie sah sich im Geiste auf der Bühne des Metropol -Theaters herumwirbeln und kostete den nicht enden wollenden Beifall aus. Aber die Illusion war nur kurz und die Rückkehr in die Realität schmerzlich. Als sie die Augen öffnete, war es still um sie, nur die Geräusche aus dem bereits zugedeckten Papageienkäfig zeigten ihr, dass sie nicht gänzlich allein war. Traurig wischte sie sich einige Tränen aus den Augen, stand seufzend auf und legte die Fotoalben zurück in die Schublade. Dann löschte sie das Licht streckte unter der Bettdecke ihre müden Glieder aus und schlief bald tief und fest.
Plötzlich fuhr sie hoch. Ein leises, kratzendes Geräusch hatte sie aufgeweckt. Es kam aus der Richtung des Fensters. Vorsichtig stützte sie sich auf die Ellenbogen und lauschte in die Dunkelheit hinein…
Leseprobe „Kälter als Eis“
Rüdiger schlich im Schatten der Bäume die Straße entlang. Es war weit und breit kein Mensch zu sehen. Er erreichte die Stelle, wo die dichte Hecke hinter dem Zaun eine Lücke aufwies. Von dort konnte er in etwas vierzig Metern die protzige alte Villa aus der Gründerzeit erkennen. Jetzt, im Dunkel der Nacht, sah sie mit ihren kleinen Türmchen und Erkern wie eine Burg aus. Geräuschlos zog er sich am Eisengitter hoch und schwang sich ohne Schwierigkeiten über den Zaun. Geduckt huschte er über den Rasen hin zu den Büschen, die ihm weitere Deckung boten. Noch ein paar Schritte und er hatte die Rückseite der Villa erreicht. Das ganze Haus lag im Dunkeln, nur eine schwache Lampe an der Kellertreppe brannte. Ein paar Meter vor sich sah er die Terrasse. Er drückte sich an der Mauer entlang, um ja nicht beobachtet zu werden. Aber seine Sorgen waren unbegründet. Niemand störte ihn. Vorsichtig tastete er sich zur Terrassentür. Der Flügel stand tatsächlich einen kleinen Spalt weit offen. Behutsam drückte er dagegen und huschte hinein. Im Arbeitszimmer entdeckte er die große chinesische Vase und griff hinein. Aber es war kein Schlüssel darin, so wie es Rosi versprochen hatte. Enttäuschung machte sich breit. Aber er hatte zum Glück vorgesorgt und einen großen Schraubendreher mitgenommen. Dann musste er das Fach eben aufbrechen.
Rosi fuhr zusammen. Da war ein schwaches Geräusch zu hören, dass aus dem Erdgeschoss kam. Rüdiger war also bereits im Haus. Sie stützte sich auf die Unterarme, um besser hören zu können. Sie drehte sich zur Seite und berührte Johannes am Arm, der erschreckt zusammenfuhr. Sie legte ihren Finger auf den Mund und flüsterte ihm zu:
"Johannes, ich habe von unten Geräusche gehört. Da ist jemand in unserem Haus. Ich habe Angst. Sind das vielleicht Einbrecher?“, fragte sie mit zitternder Stimme und krampfte sich an ihm fest. Johannes rieb sich die Augen. Er wollte sich gerade wieder auf die andere Seite drehen als er zusammenfuhr. Jetzt hatte er auch ein leises knackendes Geräusch gehört. Es kam unzweifelhaft von unten.
„Tatsächlich, jetzt habe ich auch etwas gehört. Warte mal, ich ziehe mir was an und gehe nach unten und schaue nach. Ich vermute mal, dass vielleicht wieder die Katze unserer Nachbarn durch ein offenes Fenster im Erdgeschoss gesprungen und auf Mäusejagd gegangen ist.“
Er grinste, während sie erschreckt die Augen aufriss.
„Vielleicht habe ich auch vergessen, die Terrassentür zu schließen“, wisperte sie an seinem Ohr, „so ganz sicher bin ich mir nicht.“
„Siehst du, Rosi, es ist schon besser, wenn ich alles kontrolliere. Danach können wir sorglos schlafen“, erwiderte er und stand auf und griff nach seinem Bademantel.
„Oh Gott, nein, Hannes, bringe dich nicht in Gefahr, rufe lieber die Polizei.“
„Ach Quatsch“, ihr Frauen, was ihr immer habt. Erst machst du mich
wach und dann soll ich nicht nachschauen. Das ergibt doch keinen Sinn.“
„Dann nimm wenigstens den Schuhanzieher mit, damit du dich wehren kannst.“
Es tat ihm gut, dass sie sich Sorgen um ihn machte. Sie hat tatsächlich Angst um mich, dachte er glücklich. Er fühlte sich plötzlich zwanzig Jahre jünger.
„Na gut, wenn es dich beruhigt“, sagte er leichthin und griff sich den bronzenen, etwa 50 cm langen, Schuhanzieher, der an einem Haken des „stillen Dieners“ hing und schlich durch die halboffene Tür auf die breit geschwungene Treppe, die nach unten ins Foyer führte.
Rosis Gesicht wurde von einem hämischen Grinsen überzogen. Der Plan klappte wie am Schnürchen. Sie hatte geschickt Johannes auf Rüdiger gehetzt. Wenn alles planmäßig verlief, würde sie in wenigen Augenblicken der glücklichste Mensch auf der Erde sein, der soeben Erbe eines immensen Vermögens geworden war.
Johannes erreichte indessen den unteren Flur und lauschte in das Dunkel. Da..., ein kaum hörbares, knackendes Geräusch kam zweifellos aus dem Arbeitszimmer Schlagartig wurde ihm bewusst, dass irgendein Unbekannter an seinem Schreibtisch herum hebelte. Er spürte die aufsteigende Erregung und gleichzeitig einen Anflug von Angst. Sollte er leise zurückschleichen und die Polizei alarmieren oder den Einbrecher dingfest machen und ihn bis zum Erscheinen der Polizei festhalten? Wenn ihm das gelänge, dann stand er vor Rosi wie ein Held da. Das würde sein Image ihr gegenüber gewaltig aufpolieren. Ja..., so würde er es machen.
Ganz langsam tastete er sich weiter, bis er in den Raum hineinsehen konnte. Vor dem Schreibtisch nahm er eine dunkle Gestalt wahr, die sich über den Schreibtisch gebeugt hatte und versuchte, die verschlossene Schublade aufzubrechen, in dem sich sein Scheckheft und eine geringe Menge Bargeld befanden.
„Warte, mein Bürschchen, dir werde ich helfen, bei mir nachts einzubrechen. Du wirst dich gleich wundern, was dir passiert“, murmelte er vor sich hin. Er fühlte sich sicher, weil er sich im Vorteil wähnte. Er nahm den schweren Schuhanzieher in die rechte Hand, während seine linke nach dem Lichtschalter tastete und ihn anknipste. Dann stürzte er mit einem lauten Schrei auf den Unbekannten los, holte aus und zielte dabei mit voller Wucht auf den Kopf des vermeintlichen Einbrechers…
Rüdiger zuckte wie von der Tarantel gestochen zusammen. Plötzlich war es um ihn herum taghell. Er hatte keine Chance, den Angriff abzuwehren. Er konnte lediglich einen schnellen Schritt zur Seite machen. Dieser kleine Schritt rettete ihm wahrscheinlich das Leben.. Der Schlag traf in mit voller Wucht auf der linken Schulter und ließ ihn in die Knie gehen. Vor Schmerzen schrie er eben so laut auf wie zuvor Johannes. Voller Panik handelte er instinktiv. Schon im Hochkommen ballte er die rechte Hand zur Faust und schlug mit aller Kraft eine Gerade wie aus dem Lehrbuch. Die Faust traf Johannes genau am linken Jochbein. Es gab ein hässlich knirschendes Geräusch als dessen Knochen brach. Durch die Wucht des Schlages kam er ins Taumeln, verlor das Gleichgewicht und stürzte rücklings zu Boden. Dabei riss er die wertvolle chinesische Vase von der Kommode, die in tausend Teile zerbarst. Das klirrende Geräusch hallte durch das ganze Haus. Johannes schlug mit dem Kopf hart auf den Parkettboden auf und verlor sofort das Bewusstsein….
Leseprobe „Einladung zum Mord“
Fall 5 „Ein mörderischer Hinterhalt“
An diesem nasskalten Nachmittag des 13. Januar 1999 war der erste Schnee des neuen Jahres gefallen, der im Laufe der nächsten Stunden in einen leichten Sprühregen übergegangen war. In der Rostocker Straße, einer ruhigen Seitenstraße in einem typischen Wohngebiet des Berliner Bezirks Tiergarten, war die dünne Schneedecke bereits wieder bis auf wenige kleine Inseln zusammengeschmolzen. In den Abendstunden herrschte hier gewöhnlich kaum Verkehr und nur gelegentlich wurde die Stille durch ein fahrendes Auto unterbrochen. An den erleuchteten Fenstern konnte man erkennen, dass die Anwohner jetzt in ihren Wohnungen waren, zu Abend aßen und in Ruhe und Beschaulichkeit den Feierabend genießen wollten. Ein nur trügerisches Zeichen ...
Um 20.44 Uhr öffnete sich die Tür des Hauses Nr. 6 und eine Gruppe von vier Männern trat auf die Straße, die von einem großen, kräftigen jungen Mann mit fast kahlem Schädel, der einen offenen, auffällig schwarzen, knielangen Ledermantel trug, angeführt wurde. Die rechte Hand hatte er in die Manteltasche gesteckt und es sah so aus, als ob er den Arm fest an seinen Körper presste. Die drei anderen blieben dicht hinter ihm. Auf der Mitte des Bürgersteiges blieb die Gruppe stehen. Die Gesichter der Männer wirkten angespannt und ernst. Einer von ihnen, ein etwa 1,90 m großer Mann, ging mit langsamen Schritten auf die gegenüberliegende Straßenseite und blieb vor einer Filiale von „Penny – Markt“ auf dem Bürgersteig stehen und blickte angestrengt in Richtung Huttenstraße, als ob er auf jemanden warten würde.
Wenige Augenblicke später tauchte ein kleiner japanischer Pkw auf, in dem sich drei Insassen befanden, und fuhr in eine Parklücke direkt neben ihm. Der Fahrer und der Beifahrer stiegen aus, während die auf der hinteren Bank befindliche Frau im Wagen sitzen blieb. Der Fahrer, ein junger, schwarzhaariger und gutaussehender Türke, schien den Wartenden zu kennen, denn sie wechselten ein paar Worte miteinander. Der Türke nickte mit dem Kopf und gemeinsam mit seinem Begleiter ging er langsam über die Straße auf die andere Gruppe zu, während der Hüne einige Schritte hinter ihnen zurück blieb.
Der glatzköpfige Mann hatte sich inzwischen hinter einem parkenden Fahrzeug postiert. Als sich ihm der Türke bis auf rund vier Meter genähert hatte, trat er aus dem Schatten hervor und zog plötzlich und ohne jede Vorwarnung eine „Pump Gun“ aus seiner Manteltasche, hob die Langlaufwaffe in Brusthöhe, zielte kurz und gab einen Schuss auf den völlig überraschten und wehrlosen Mann ab. Durch die Wucht der aufprallenden Geschosse wurde der junge Türke wie von einer unsichtbaren Faust etwa 1,50 m zurückgeschleudert und fiel, von mindestens neun Kugeln aus der abgefeuerten Schrotpatrone in der Brust und am Hals getroffen, rücklings neben einem Audi 80 auf die nassglänzenden Pflastersteine der Fahrbahn. Sein Begleiter reagierte nach einer Schrecksekunde blitzschnell, drehte sich um und versuchte, sich in Sicherheit zu bringen. Der Schütze hob erneut seine Waffe, zielte und gab auf den Fliehenden zwei Schüsse ab, die ihn jedoch verfehlten, weil der sich beim ersten Schuss bereits abgeduckt hatte und unmittelbar darauf hinter einem geparkten Pkw Schutz finden konnte. Jetzt trat der Schütze an sein am Boden liegendes Opfer heran und fragte den direkt hinter ihm stehenden Hünen: „... Wat meinste, ob der noch lebt...?“, worauf sich sein Kumpel über das Opfer beugte und erwiderte: „... ja, der zappelt noch...“ Daraufhin hielt der Schütze die Waffe direkt an den Kopf seines Opfers und schoss ihm zwischen die Augenbrauen. Der Schuss war sofort tödlich und zerstörte einen Teil des vorderen Schädels und das gesamte Gehirn. Aber der Glatzköpfige hatte noch immer nicht genug. Wild entschlossen, auch die Augenzeugin im Pkw zu töten, trat er an das Fahrzeug heran und legte seine mörderische Waffe auf die in Panik befindliche junge Frau an. Der Hüne rief ihm jedoch beschwörend zu: „ ... nicht schießen, ist doch ` ne Olle...“ Durch diesen Ausruf schien der Mörder zur Besinnung gekommen zu sein, denn er ließ die Waffe sinken, drehte sich spontan um und floh zu Fuß über den die Rostocker Straße und Berlichingenstraße verbindenden Parkplatz und verschwand im Dunkel der Nacht. Seine drei Begleiter flüchteten die Rostocker Str. entlang in Richtung Huttenstraße und entkamen unerkannt.
„Der Feind in meinem Haus“
( Leseprobe aus Fall 1 – Der Pizzamörder )
Der berühmte Zufall wollte es, dass am 18.März, gegen 14.00 Uhr, der Polizeibeamte Rolf Pawlowski einen Spaziergang im Jagen 120, unweit der Havelchaussee und dem Grunewaldturm, machte. Er interessierte sich für die Vogelwelt in heimischen Gefilden und beobachtete einen seltenen Vogel und war dabei etwas vom Weg abgekommen. So stieß er im Unterholz, etwa 15 m vom befahrbaren Jagenweg entfernt, auf eine Anhäufung aus Knüppelholz, Zweigen und Laub. Aufmerksam geworden trat er näher und schreckte zurück. Aus dem Gestrüpp ragte ein menschliches Bein und der Teil eines Kopfes hervor. Die schlimmsten Befürchtungen waren zur grausamen Gewissheit geworden. Die Leiche von Maerte Christiansen, der zweiten verschwunden norwegischen Schülerin, war gefunden worden. Der Täter hatte das Opfer in großer Eile nur oberflächlich abgedeckt. Schleif- oder Kampfspuren waren nicht zu entdecken. Der oder die Täter mussten das Opfer vom Weg zur Ablagestelle getragen haben. Die Leiche war vollständig bekleidet, wobei allerdings die Bluse im vorderen Bereich aufgerissen war und der Bauch und teilweise die Brust frei lagen. Die Cordjeans bedeckten den Unterkörper und die Beine. Der Reißverschluss war zugezogen und der Knopf im Bund geschlossen. Das Opfer trug einen unbeschädigten Slip. Um den Hals war ein blauer Schal geschlungen und im Nacken verknotet. Er gehörte dem Opfer. Den Beamten der Mordkommission fiel sofort die tiefe, klaffende, bis zur Wirbelsäule reichende Schnittwunde am Hals auf. Die Lage der Blutablaufspuren im Halsbereich und das Fehlen solcher Spuren auf der Vorderseite der Leiche ließen darauf schließen, dass die Halsverletzung erst am Fundort dem Opfer gesetzt worden war.
Die Obduktion des jungen Mädchens offenbarte die ganze Brutalität und Grausamkeit, mit der der oder die Täter ihr Opfer zu Lebzeiten gequält und misshandelt hatten. Zum Tode hatte nicht die schwere Halsverletzung, sondern eine nachhaltige Kompression der Halsweichteile geführt, wobei der Schal vermutlich als Drosselwerkzeug gedient hatte. Die klaffende Halswunde ging bis zur Wirbelsäule. Die rechte Halsschlagader, der Kehlkopf und die Speiseröhre waren durchtrennt, die linke Schlagader an verschiedenen Stellen aufgeschlitzt. Da nur geringfügige Unterblutungen der Wundräder und fehlende Aspiration von Blut festgestellt werden konnten, sprach nach Feststellung der Gerichtsärzte alles dafür, dass der Täter die tiefen Schnitte am Hals erst dann gesetzt hatte, als der Kreislauf in diesem Moment im Zusammenbrechen oder das Opfer unmittelbar zuvor gestorben war.
Außerdem wies das Opfer noch eine ganze Reihe leichterer und schwererer Verletzungen auf, insbesondere im Gesicht und an den Brüsten auf.
Der grausame Doppelmord an den norwegischen Schülerinnen war das Gesprächsthema in der Stadt. Die Presse und auch das Fernsehen berichteten ausführlich über das schreckliche Schicksal der beiden Mädchen. Angst machte sich unter der Bevölkerung breit in dem Bewusstsein, dass unter ihnen unerkannt ein oder mehrere abartige Mörder lebten.